Künstliche Intelligenz in der Teleradiologie – Möglichkeiten und Herausforderungen
KI-Lösungen: Was können sie?
Besonders unter Radiologen ist das Interesse an KI groß, weiß Dr. Möller, denn sie können stark davon profitieren. Dr. Möller hat die Entwicklungen der letzten Jahre selbst intensiv verfolgt und knüpft hohe Erwartungen an die Möglichkeiten der KI. Von KI erhofft sich ein Radiologe: weitere Automatisierung des Untersuchungsablaufes, Workflow-Verbesserung, Befundungserleichterung – kurzum Zeitersparnis und Qualitätsverbesserung.
In der Teleradiologie, wo der Fokus auf Nacht- und Wochenenddiensten und somit hauptsächlich auf Notfalluntersuchungen liegt, kann KI bei der Erkennung von Hirninfarkten, Blutungen, Frakturen, Perforationen, Gefäßdissektionen und Embolien Hilfestellung leisten. Ganz konkret soll KI den Radiologen im Dienst bei der Befundung unterstützen und zeitkritische Informationen zur Verfügung stellen. Denkbar ist auch ein Vorbefund durch ein KI-System, das nahtlos in den Workflow und somit in das RIS oder PACS integriert wäre. Dabei ist natürlich entscheidend, dass so ein System bei dem hohen Kostendruck in der Branche auch bezahlbar bleibt.
Dr. Möller demonstriert die Möglichkeiten der automatisierten Erkennung von Knoten in der Lunge sowie der automatisierten Darstellung komplexer Untersuchungen im Gefäßbereich. Anhand zahlreicher wissenschaftlicher Artikel allein aus dem Monat September zeigt er: „Das Thema ist in aller Munde“. Er selbst sieht der Entwicklung mit viel Spannung entgegen und ist sich sicher, dass die Qualität von Befundung und Therapie und damit auch die Effizienz der Versorgung erhöht werden.
Bald ein KI-Marketplace bei NEXUS / CHILI?
Der Fragestellung wie die Systeme technisch implementiert werden können und wie die Systeme für Radiologen verfügbar gemacht werden sollen, widmet sich Dr. Engelmann und berichtet von den aktuellen Entwicklungen. Erklärtes Ziel ist die Versorgung der Kunden mit Anwendungen der KI. „Anwendungen der KI sind in bestimmten Bereichen besser als durchschnittliche Radiologen. Sie können Radiologen nicht ersetzen, aber unterstützen“, so Dr. Engelmann. Der Zeitbedarf des Radiologen pro Patient könnte also gesenkt werden bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen medizinischen Versorgungsqualität. Doch unterliegen diese wünschenswerten Ziele auch einigen Herausforderungen. Beispielsweise muss Befundungs-Software als Medizinprodukt zertifiziert sein. Viele KI-Firmen sind jedoch Start-Ups mit wenig Erfahrung, die sich Wissen auch über die regulatorischen Anforderungen erst aneignen müssen.
Als weiteren „Show-Stopper“ nennt Dr. Engelmann, dass die Anwendung im Moment der Auslieferung in ihrem Lernen gestoppt werden muss. Sie kann zwar im Hintergrund weiterlernen, muss dann aber als neue Version gekennzeichnet und neu getestet und auch entsprechend den Regularien eines Qualitätsmanagementsystems wieder neu validiert werden.
Er erklärt außerdem, dass die meisten KI-Systeme Spezialfragen lösen und so ein „Zoo“ von Lösungen entsteht. Nicht jede Radiologie kann jedes System vorhalten und bezahlen und vielleicht besteht auch nur Bedarf für eine gelegentliche Nutzung. Das bringt Dr. Engelmann zur Überlegung, bei NEXUS / CHILI einen Marktplatz zur Verfügung zu stellen, in dem verschiedene KI-Anwendungen in der Cloud angeboten und auf Knopfdruck benutzt werden können. „Dabei wird nur bezahlt was tatsächlich benötigt wird“, erklärt er die Idee im Sinne eines Pay-per-Use Modells.
Natürlich muss auch dem Datenschutz Rechnung getragen werden. Keine personenbezogenen Daten dürfen an den entsprechenden KI-Provider übertragen werden, sondern müssen bei Versand verschlüsselt und später wieder entschlüsselt werden.
Wo stehen wir heute?
Bei NEXUS / CHILI gibt es bereits Gespräche mit verschiedenen Anbietern und wir befinden uns in der Phase der Identifikation von geeigneten Systemen, die validiert, zertifiziert und ausgereift sein müssen. Ein Beispiel für die Integration liefert das Hamburger Start-Up FUSE-AI, dessen Geschäftsführer Matthias Steffen die bisherigen Entwicklungen und das weitere Vorgehen beschreibt. FUSE-AI arbeitet daran KI und intelligente Bilderkennung in der Gesundheitsbranche zu nutzen und legt seinen Fokus dabei auf die Entwicklung lernfähiger Diagnosealgorithmen zur Unterstützung von bildgebenden Verfahren. Die bereits entwickelten Systeme zur Unterscheidung von Hautläsionen und für die Prostatadiagnostik liefern bereits heute aussagekräftige Ergebnisse.
Welche konkreten KI-Systeme stehen jetzt oder bald zur Verfügung und wann können wir damit arbeiten?
Bilderkennung mit bloßem Auge kann schwierig sein und genau an dieser Stelle soll KI unterstützend zu Rate gezogen werden können. Matthias Steffen erklärt seine Arbeit: „Wir trainieren ein neuronales Netz, das durch eine Vielzahl von Bildern den Zusammenhang zwischen Bild und dem zugehörigen Label lernt und danach in der Lage ist, ungesehene Bilder zu klassifizieren.“ Das Ergebnis dieses überwachten Trainings ist also ein Modell, das auch neue bislang unbekannte Fragestellungen beantworten kann.
FUSE-AI setzt sich seit 2016 damit auseinander, was mit KI schon möglich ist und wie diagnostische Entscheidungen in Zukunft weiter verbessert werden können. Der wichtigste Baustein der Produktfamilie ist dabei das KI Backbone, mit dem verschiedene Systeme serverbasiert trainiert werden, so zum Beispiel für Prostata, Lunge, Brust, Knochenheilung etc. Da heute aber auch Applikationen für mobile Geräte eine wachsende Rolle übernehmen, gibt es bereits ein vielversprechendes Modell für mögliche Diagnosen im Bereich Haut und Wundheilung.
Das Unternehmen nutzt zum Training seiner Systeme ausschließlich ausgewählte Daten von sehr hoher Qualität, um eine hohe diagnostische Genauigkeit zu erreichen. Interdisziplinäre Fachleute aus den Bereichen Biochemie, Radiologie, Software-Entwicklung, KI, Regulatorische Anforderungen, Betriebswirtschaft bis hin zum Healthcare-Marketing, von denen jeder das Projekt auf seine Weise vorantreibt, verschmelzen zu einem Team.
Ein spannendes Projekt des Start-Ups ist die Entwicklung einer KI zur Unterstützung der Analyse von Prostata-MRTs. Prostatakrebs ist mit 70.000 Neuerkrankungen jährlich die häufigste Krebsart des Mannes in Deutschland. MRT ist ein wichtiges Verfahren, um die Läsionen erkennen zu können, doch ist die Analyse von Prostata-MRTs für Radiologen herausfordernd, denn sie sind häufig schwierig zu interpretieren und dadurch zeitaufwändig. Herr Steffen weist an dieser Stelle explizit darauf hin, dass der Radiologe nicht ersetzt, sondern unterstützt werden soll. Über den medizinischen Gewinn hinaus, ist auch von einem hohen wirtschaftlichen Nutzen auszugehen, so verspricht das Unternehmen eine erhebliche Zeitersparnis, die laut ersten Schätzungen bei 20-25% liegen könnte. Eindrucksvoll zeigt Matthias Steffen anhand von Prostataaufnahmen, wie genau die Annotationen der Software und die des Radiologen übereinstimmen, was die technische Machbarkeit belegt.
Um den Radiologen bestmöglich zu unterstützen und effektives Arbeiten zu ermöglichen, soll die Software keine proprietäre Lösung sein, die der Radiologe separat öffnen muss, sondern sie soll mit Hilfe von NEXUS / CHILI als System aufgebaut werden, in das die Lösung von FUSE-AI nahtlos integriert ist.
Zunehmende Bedeutung von KI in der Teleradiologie
Dr. Engelmann, Dr. Möller und Matthias Steffen sind sich einig, KI-Anwendungen in der Teleradiologie stehen noch am Anfang einer rasanten Entwicklung, die in den nächsten Jahren sicher noch an Fahrt aufnehmen wird. Das zeigen auch die zahlreichen Fragen und Beiträge der interessierten Zuhörer im Anschluss an die Vorträge.
Wir bedanken uns bei den Vortragenden für ihre Einschätzungen zu einem der derzeit spannendsten Themen im Bereich des Gesundheitswesens, das uns mit Sicherheit auch in den nächsten Jahren nicht loslassen wird!
Künstliche Intelligenz – Abgrenzung des Begriffs
Die Begriffe Artificial Intelligence oder wie es auf Deutsch heißt Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Deep Learning, werden häufig synonym verwendet, doch unterscheiden sie sich in ihrer Bedeutung. Künstliche Intelligenz heißt, dass die geistige Leistungsfähigkeit und Verhaltensmuster von Menschen durch Software und Programme kopiert und angewandt werden. Die Software löst also Probleme, die sonst der Mensch lösen würde. Jedoch kann die Software, die ihr zugeschriebenen Aufgabe zwar immer wieder nach demselben Muster lösen, nicht aber verbessern, wie es beim Machine Learning der Fall ist. Dort werden Algorithmen verwendet, die die Intelligenz bzw. Verhaltensmuster nicht nur kopieren, sondern darüber hinaus auch von vorliegenden Daten lernen und Vorhersagen treffen können. Noch eine Ebene tiefer liegt das Deep Learning, das sich durch den Einsatz von tiefen neuronalen Netzen ähnlich der menschlichen Struktur auszeichnet.
Über Dr. Torsten Möller, Reif & Möller
Dr. Torsten Möller gründete mit Dr. Emil Reif 1989 in Dillingen (Saarland) die Praxis "Reif und Möller", eine der führenden radiologischen Praxen Deutschlands. Aus dieser Praxis entwickelte sich im Jahr 2000 die diagnostic-network AG.
Dr. Möller ist Pionier der Teleradiologie und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Teleradiologie. Daneben ist er weltweit einer der erfolgreichsten Fachbuchautoren auf dem Gebiet der Radiologie. Er leitet das bundesweit einzige zertifizierte Teleradiologie-Netzwerk, das in Deutschland und Österreich mehr als 100 Kliniken betreut.
Über Dr. Uwe Engelmann, NEXUS / CHILI GmbH
Dr. Uwe Engelmann gründete 1993 mit Kollegen den Berufsverband der Medizinischen Informatiker BVMI, dessen Ehrenmitglied er seit 2006 ist. Er ist aktives Mitglied und Gutachter in der GMDS, in der Deutschen Röntgengesellschaft DRG und der Europäischen Röntgengesellschaft ECR.
Im Normenausschuss Radiologie des DIN hat er federführend die Norm zur Qualitätssicherung in der Teleradiologie entwickelt. Aus seiner über 30-jährigen Arbeit als Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum entstand die NEXUS / CHILI GmbH, deren Gründungsgesellschafter er ist. Die Firma entwickelt seit über 20 Jahren innovative Software für das Bildmanagement in der Medizin.
Über Matthias Steffen, FUSE-AI
Matthias Steffen gründete 1996 die Agentur FUSE für digitale Kommunikation. Er ist Mitveranstalter des Medical App Award 2016 (mit Life Science Nord) und Geschäftsführer der FUSE-AI GmbH. Das Start-Up für künstliche Intelligenz und intelligente Bilderkennung in der Gesundheitsbranche legt seinen Fokus unter anderem auf die Entwicklung von lernfähigen Diagnosealgorithmen zur Unterstützung von bildgebenden Verfahren.